Unsere VIERTE Brasilientour beginnt am 29.01. in São Paulo – aber nicht mit einem Yellow Cap Konzert. Gleich am ersten Abend, ein paar Stunden nach der Landung sind wir zu Gast beim Karnevalskonzert unserer Freunde von OBMJ (Orquestra Brasileira de Música Jamaicana), eine ziemlich bekannte Rocksteady Band aus São Paulo. Bloß keine Zeit mit Ausruhen verschwenden. Die Brasilianer nehmen es mit den Karnevalsdaten nicht ganz so genau. Also bekommen wir schon am ersten Abend einen Vorgeschmack auf das was uns noch erwartet. Apropos: Beste Grüße nach Köln, Mainz und Co. Denkt doch eventuell mal darüber nach, Fasching in den Sommer zu verschieben. Es feiert sich bei 30°C einfach noch mal besser. Eine entsprechende Petition würden wir sofort unterschreiben.
Am folgenden Tag mussten wir uns dann doch ein bisschen Ausruhen. Die Anreise war lang, und in Brasilien ist Hochsommer, die Luft in São Paulo steht. Wir schwitzen. Im Stehen. Im Sitzen. Im Schatten, Auf der Bühne. An der Bar. Nachts auch. Da helfen nur kalte Getränke und die eigene Geschwindigkeit senken. Mittlerweile gelingt es uns mühelos, das deutsche Tempo rauszunehmen. Brasilien läuft generell langsamer.
Der erste Höhepunkt der Tour: Am 31. Januar sind wir mit Victor Rice im Tonstudio verabredet. Nach langer Vorarbeit nehmen wir unter seiner Leitung einen neuen Song auf. Viktor Rice! Wär hätte das gedacht. Ein äußert angenehmer, sehr entspannter und sehr talentierter Mann. Nicht umsonst gehört er in der Szene zu den bekanntesten und erfahrensten Produzenten. Wir haben uns Verstärkung eingeladen: In Deutschland weniger bekannt aber in Brasilien dafür uma problema grande – eine große Nummer – Lourdes la Luz rappt für uns den Ragga-Part. Gänsehaut. Ihr Song „Andei“ gehörte zum Soundtrack der vorherigen Touren, und jetzt steht sie am Mikro und liefert sowas von ab. Für uns! Wir sind alle platt. Viktor auch. Spät in der Nacht sitzen wir eng an eng in seinem Apartment im 30. Stock des Edificio Copan, schauen zu wie er die Aufnahmen mixt, hören seinen Anekdoten aus über 30 Jahren im Geschäft zu und sind ganz high von dem atemberaubenden Panorama des nächtlichen São Paulo. Das Edificio Copan – gebaut nach Oscar Niemeyers Entwürfen, war bei seiner Fertigstellung 1966 das größte Gebäude der Welt. Es beherbergt rund 5000 Bewohner in 1160 Wohnungen und hat eine eigene Postleitzahl. Alles in allem ein unglaublicher Tag. Auf dem Weg zu Viktor geraten wir in einen schwul-lesbischen Karnevalsumzug. Mehrere tausend Menschen tanzen ausgelassen hinter einem Truck her, vom dem ohrenbetäubend laute, brasilianische Karnevalsmusik dröhnt. Als wir auf dem Rückweg sind – der lange dauert, weil wir einen langen Umweg durch viele Bars gehen müssen – ist der Umzug zwar vorbei, aber es ist immer noch Volksfeststimmung. Die Straßen sind voller Menschen. In 4 Stunden müssen die alle auf Arbeit sein, oder? Was für ein unglaublicher Tag. Oh, nebenbei bemerkt: Die Band war super im Studio. A Cozinha – die Brasilianer nennen die Rhythmusgruppe „die Küche“ – hat zusammen eingespielt. Ebenso die Bläser. Das erzeugt einen schönen, naturbelassenen, warmen Sound und sorgt für Atmosphäre.
Der nächste Tag – nach einem langen Arbeitstag darf man das – beginnt für uns am frühen Nachmittag mit einem ausgezeichneten Essen in einem der Restaurant, in dem man nach Gewicht bezahlt – typisch für Brasilien. Man bedient sich an einem riesigen Buffet nach Herzenslust, der Teller wird gewogen, und man bezahlt zwischen 20 und 40 Real (5-10 Euro) pro Kilogramm. Das Essen ist hervorragend und ungesund. Viel Fett, viel Käse, viel Fleisch, auch Gemüse, aber das sieht man seltener auf den Tellern. Überall in den Städten hängen Werbebanner für Sal de Frutas, Fruchtsalz. Es lindert Katerbeschwerden. Da weiß man eigentlich Bescheid, was hier los ist. Am späten Abend fahren wir mit dem Nachtbus nach Rio de Janeiro. Als wir am morgen am Busbahnhof sitzen und ein bisschen Zeit totschlagen, bevor wir im Hostel einchecken können, erwischt Clemens eine fiese Magen-Darm-Erkrankung, die über die nächsten Tage fünf von uns mehr oder weniger stark mitnehmen. Sal de Frutas hilft auch dagegen. Den Tipp bekommen wir von Fritz´ brasilianischer Schwiegermutter. Ah, wichtige Information: Leider konnte Christoph, unser Gitarrist aus beruflichen Gründen nicht mitkommen. Fritz Bayer ist für ihn eingesprungen und hat ihn großartig ersetzt. Danke Fritz!
Clemens ist am Abend zumindest wieder so fit, dass wir unser erstes Konzert mit ihm spielen können. Bis kurz vor der Show war das nicht klar, denn ihm ging´s wirklich übel. Die erste Show der Tour. Mitten im Szeneviertel Lapa, dem Viertel, dass bei der Entstehung des Samba, Pagode, Bossa Nova und Forró eine wichtige Rolle gespielt hat. Vor uns spielt Fernanda Sant´Anna Brasilidade – unterstützt von unserem Bläsersatz. Das Publikum war zwar überschaubar, dafür aber super herzlich, engagiert und familiär. Höhepunkt der Show war 54-46 von Toots Hibbert im Duett mit Fernanda.
Den folgenden Tag verbringen wir größtenteils am Strand von Ipanema. Fritz geht´s anfangs schlecht. Der zweite nach Clemens, zum Glück nicht ganz schlimm. Aber die Seeluft und die Sonne bessern seinen Zustand.
An unserem letzten Tag in Rio Tag haben wir eine Verabredung mit Fernanda und ihren Bandkollegen Licinho (Percussion) und William Magalhães (Gitarre) in einem kleinen Studio an der Copacabana. Wir haben die drei eingeladen, ebenfalls eine Strophe für „Around the World“ einzuspielen, das wir in São Paulo aufgenommen haben. Wir hoffen, das Resultat noch in diesem Sommer veröffentlichen zu können.
Nächster Halt São Carlos. Wir spielen im gutbesuchten GIG mitten in der Stadt. Kurz vor der Show wird Kay ganz weiß im Gesicht. Alle wissen was das heißt: 24h Badzimmer. Kay, wie war das für dich? „Ich muss ganz ehrlich sagen, so ein schweres Konzert musste ich noch nie spielen. Es ist super anstrengend, sich auf die Songs zu konzentrieren, wenn man permanent Angst hat, dass man sich ins Publikum übergeben könnte. Wie auch immer, auch dieses Konzert haben wir bis zum Ende gespielt. Und an welchem Ort und wie ich die darauffolgenden Stunden verbracht habe, will niemand wissen…“ Peter hatte vor, während und noch einen Tag nach dieser Show Fieber allem drum und dran. Grippeerkrankungen sind im Moment in Brasilien ein besonders sensibles Thema. Jeder weiß um die schlimmen Folgen der Zika-Infektion. Ganz wohl war uns allen also nicht, bis sich Peters Zustand deutlich besserte.
Am nächsten Tag wurden wir gegen Mittag von unserem Fahrer Ronaldo abgeholt. Seine satte Verspätung brachte ihm den Spitznamen „Delaycio“ ein. Bis zum Ende der Tour hat er uns mindestens ein Mal das Leben gerettet – kein Witz, es war ein Ausweichmanöver um einen geisterfahrenden Laster nötig, bei dem wir um ein Haar alle laut geschrien hätten. Und er hat uns auf seine sehr brasilianische Art bei einer Verkehrskontrolle vor Schlimmerem bewahrt, in dem er so getan hat, als würde die Schiebetür klemmen, um uns Zeit zum Anschnallen zu verschaffen. Die brasilianische Polizei ist ja bekannt für ihr entschlossenes, oft unangemessenes Vorgehen.
Unser nächstes Ziel war eine Fazenda, eine Farm, in der Nähe der Stadt Sertãozinho. Dort haben wir gegen zwei Uhr morgens als dritte Band auf einem Festival mit dem Namen „Grito Rock“ gespielt. „Grito Rock“ Konzerte sind landesweit stattfindende Veranstaltungen als Alternative zum herkömmlichen Karneval. Da wir am nächsten Abend in der alten Kolonialstadt Ouro Preto in Minas Gerais – ca. 10 Autostunden entfernt – spielen sollten, haben wir uns entschieden, noch in der gleichen Nacht loszufahren. Unter anderem auch deswegen, weil der Veranstalter nicht bedacht hatte, dass wir irgendwo schlafen müssen. Kann mal passieren. Zu diesem Zeitpunkt war die Tour sehr, sehr anstrengend. Unter anderem auch deswegen, weil wir aufgrund eines Missverständnisses zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, wo wir nächste Nacht schlafen… und wann unser Fahrer mal schlafen kann.
Sonntag, 07. Februar. Als wir am Nachmittag völlig platt auf dem Praça Tiradentes in Ouro Preto ankommen, ist aller Stress und alle Müdigkeit sofort vergessen. Dort ist die Hölle los! Die Stadt kocht und brodelt. Das ist Karneval. Ein Bloco de Samba (Samba-Block) nach dem anderen schiebt sich durch die berauschten Menschenmassen auf dem Platz und durch die kleinen malerischen Kolonialstraßen. Die Leute jubeln und tanzen. Als wir gegen 19:30 Uhr auf die Bühne gehen, sind ca. 20000 Menschen auf dem Platz – und die feiern uns und unsere Musik, wie auf keinem späteren Konzert. Euphorie, Exstase und noch was Krasses mit E… Eskalation vielleicht. Wir eskalieren ebenfalls. Es ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl, dort vor diesem Publikum auf der Bühne zu stehen. Kurz vorm Ende der Setlist müssen wir unser Konzert unterbrechen, weil der älteste und bekanntest Bloco de Samba der Stadt auf dem Platz einzieht. „Bloco schlägt Band“ lautet die Regel. Ouro Preto flippt komplett aus. Als er in einer Nebenstraße verschwindet, ist es wieder Zeit für Yellow Cap. Es sind jetzt noch mehr Menschen auf dem Platz gekommen. Bis in die letzten Reihen wird zur Zugabe getanzt. Abriss. Feuerwerk. Große Gefühle. Es ist phantastisch. Wir bleiben nicht lange genug in der Stadt. Die Veranstalter haben für Hotelzimmer in Belo Horizonte gebucht. Bis Mitternacht wussten wir nicht, wo wir schlafen. Gegen halb zwei morgens geht es los. Leider. Drei Stunden Fahrt bis in die Hauptstadt von Minas, in der Jogis Team mit dem 7 zu 1 gegen die Seleção Fussballgeschichte geschrieben hat. Nach zwei sehr harten Tagen und einer noch härteren Nacht im Tour-Van fallen wir weiche Betten in luxuriösen Zimmern. Danke Ouro Preto, du warst gut zu uns.
Schon bei der Show auf der Fazenda wurden wir „gewarnt“, dass der Club in Ribeirão Preto, unserem nächsten Ziel, sehr, sehr klein sein würde. Als wir am Abend am Club vorfahren, stehen ca. 350 Leute davor und warten. Rein passen gerade mal 50 Leute. Im Prinzip stehen wir auf einem kleinen Innenhof mitten im Publikum. Der Übergang ist fließend. Alles tanzt, schuppst, schwitzt… wir werden wie Freunde behandelt. Eigentlich überall, aber hier besonders. Es wird unser „intimster“ Gig. Wir standen schon oft auf kleinen Bühnen. Aber so kuschelig war es noch nie. Nächstes Jahr sehen wir uns hoffentlich wieder.
Dann ein Heimspiel. Poços de Caldas. Zum vierten Mal. Wir kennen alle im New York Pub – der luxuriöseste Club auf jeder Tour. Alle kennen uns. Die Kur-Stadt ist in Karnevalsstimmung. Die Veranstaltungen sind nirgends so pompös wie in Rio de Janeiro oder Sao Paulo. Aber Spass haben die Menschen am Karneval in vielen Städten. An jeder Ecke standen Bühnen, auf den von Blues bis Samba-Rock alles gespielt wird. Die Skafraktion, also wir, locken 450 zahlenden Gästen an. Ausverkauft! Das Publikum singt sogar Rudi Posaunen-Solo in Mrs. Marple mit! Das gab´s noch nie. Der Abend endete spät bei einem Caipirinha mit unseren Freunden vom Casa Fora do Eixo. Der Rest vom Publikum hat ziemlich genau nach unserem letzten Song den Club verlassen. Wir waren die letzte, offizielle Veranstaltung der Stadt. Als jemand von uns nach dem Gig auf die Uhr schaut, ist es vier Uhr morgens. Aschermittwoch. Wir bleiben noch… Ein dickes Lob für Durchhaltevermögen und Unbesiegbarkeit geht an Lars Friedrich, der seit dem frühen Morgen Magen-Darm-Probleme hatte. Zäher Hund vom Land!
Dann eine endlos scheinende Fahrt nach Barbacena. Thomsen ist krank. Ratet mal, was er hatte? In Barbacena, dem Hauptquartier früher Touren treffen wir unseren langjährigen Freund, Teilzeit-Manager und Tour-Begleiter Fred Furtado. Ohne ihn und seinen Brother in Crime Clebinho wäre es uns unmöglich gewesen, den Bekanntheitsgrad zu erreichen, den wir inzwischen in Brasilien haben. Wie im letzten Jahr spielen wir im Mirante-Club auf dem Hausberg, hoch über der Stadt – was für ein phantastischer Blick. Aber anders als im letzten Jahr wird es ein Konzert für Freunde und Bekannte. Verwunderlich ist das nicht, denn nach der tagelangen Dauerparty sind hier alle ausgelaugt und fertig. Wir hatten also mit wenig Publikum gerechnet. Alle Anwesenden aber sind bester Stimmung, und es wird ein langer, feuchtfröhlicher Abend mit guten Freunden. Wir sehen die Sonne aufgehen.
Bevor wir am nächsten Mittag nach Belo Horizonte aufbrechen müssen, bleibt noch Zeit für ein gemeinsames Essen mit Fred. Wer mal in Barbacena ist: Gegenüber von der Post am Marktplatz gibt es dieses Preis-pro-Kilo-Restaurant. Super.
Das Team im Baixo Kulturzentrum in BH (die Abkürzung für Belo Horizonte – gesprochen Beha-Ga) erwartet uns schon. Der Soundcheck wird reichlich abenteuerlich, aber wir haben gelernt, locker zu bleiben. Alles halb so wild. Und tatsächlich, am Abend auf der Bühne ist der Sound zwar schwierig, aber der Stimmung tut das keinen Abbruch. Der Club war gut voll und die Gäste schienen sich vom Karneval schon wieder ganz gut erholt zu haben.
12. Februar. Vorletzte Show, die Tour neigt sich dem Ende. Nach einer ganztägigen Autofahrt kommen wir mit leichter Verspätung in Campinas an. David, der Veranstalter, war sehr glücklich, dass er uns als Headliner für das 10. Jubiläum seines Festivals „Skandalosa“ gewinnen konnte. Malacabeza, die zweite Band des Abends, die wir schon aus dem Vorjahr kennen, machen mit einem Set lässiger, alter Rocksteady-Hymnen den Anfang. Als wir dann später gemeinsam ein Lied von „Derrick Morgan“ spielten, platzte der Club fast aus allen Nähten. Eine lange, zerfeierte Nacht endet bei Sonnenaufgang auf der Terrasse von Davids Haus.
Und dann war es auch schon soweit. Letzter Tourtag. Die Fahrt nach São Paulo ist die kürzeste der Tour. Es sind nur ca. 100 Kilometer – locker in 2 Stunden schaffbar. Zum krönenden Abschluss spielen wir als Headliner des „Skarnaval“ Festival. Außerdem sind die brasilianischen Ska-Bands „SAPOBANJO“ und „NOKADS“ dabei. Larry, unser Drummer, unterbricht das Konzert in der ersten Hälfte und fordert das Publikum auf, ein Geburtstagsständchen für Kay zu singen. Der ganze Saal singt „Parabens pra voce“. Unglaublich! Kay war sichtlich gerührt und auch ein bisschen rot vor Scham.
Zwei Stunden später trinken wir unser letztes gemeinsames Getränk als komplette Band im Hof vorm Hotel, denn am nächsten Tag werden Peter (Keyboard), Fiedel (Trompete) und Fritz (Gitarre) uns in Richtung Deutschland verlassen. Der Rest der Band wird am nächsten Morgen zur Erholung an den Strand der Costa Verde fahren und dort noch ein paar sehr entspannte Tage verbringen – in einem kleinen verschlafenen Ort am Strand, umgeben vom Küstendschungel und Paradiesvögeln … uns eingeschlossen. Das lokale Lieblingsgetränk heißt Gabriela.
Nun sind wir zurück und strotzen vor neuen Vorsätze, Ideen und Inspirationen. Hoffentlich überspült der Alltag nicht gleich alles davon. Merken: Gleich in den nächsten Tagen hinsetzen und die nächste Tour planen!
Haut rein, bis bald!
Ach übrigens, weil wir häufig gefragt werden, was der Blödsinn mit dem Schumi-Daumen soll… Das ist in Brasilien das universelle Zeichen für:
“Danke, gut”
“Super Sache”
“Grüß dich erstmal”
und ähnlich Floskeln. Und da wir Land und Leute mögen, machen wir das auch :-)